Wie emotionale Intelligenz Führung verbessert, Entscheidungen klärt und Leistung stärkt
In vielen Führungsetagen gelten Emotionen noch immer als Risiko – oder bestenfalls als Privatsache. Dabei zeigen Forschung und Praxis seit Jahren: Gefühle sind keine Störung – sie sind ein Steuerungssystem. Wer sie versteht und nutzen kann, trifft bessere Entscheidungen, baut tragfähigere Beziehungen auf und führt souveräner durch Unsicherheit und Veränderung. Mit anderen Worten: Emotionale Intelligenz (EI) ist ein Leistungsvorteil.
Eine groß angelegte Meta-Analyse von Zhang & Wang (2011) wertete 75 Studien mit über 12.000 Teilnehmenden aus und kam zu einem eindeutigen Ergebnis: Zwischen emotionaler Intelligenz und beruflicher Leistung besteht ein moderat starker Zusammenhang (r = 0,28). In stark beziehungsorientierten Kulturen wie China ist der Effekt noch ausgeprägter. Wer eigene Gefühle erkennt, versteht und steuert – und das auch beim Gegenüber leisten kann –, agiert erfolgreicher. Und zwar nicht trotz, sondern gerade wegen der emotionalen Dynamik im Arbeitsalltag.
Emotionen unterscheiden Top-Performer – nicht Fachwissen
In einer vielzitierten Studie untersuchten Côté, Lopes, Salovey und Miners (2010), wie sich Führungspersonen in Gruppen ohne feste Rollenstruktur herausbilden. Das Ergebnis war überraschend deutlich: Nicht Fachwissen, Dominanz oder extrovertiertes Auftreten führten zu Führung – sondern die Fähigkeit, emotionale Signale zu lesen und zu deuten. Wer Emotionen differenziert wahrnimmt und verstehbar macht, wird zum Bezugspunkt. Wer sie ignoriert, wirkt unsicher oder dominant.
Fazit: Emotionale Intelligenz ist nicht „nett“ – sie ist wirksam. Und das unabhängig vom Führungsstil: In selbstorganisierten Teams ebenso wie in klassischen Linienstrukturen.
Entscheidungsstärke braucht emotionale Klarheit
Spannend wird es dort, wo Entscheidungen unter Druck getroffen werden. Jeremy Yip und Kolleg*innen haben in mehreren Studien (2011, 2013, 2017) gezeigt, dass Emotionen wie Angst und Wut zu systematischen Verzerrungen führen: Angst reduziert die Risikobereitschaft – auch wenn das Risiko sachlich gering ist. Wut hingegen erhöht die Wahrscheinlichkeit vorschneller Entscheidungen oder Verhandlungsabbrüche.
Doch es gibt einen Unterschied: Menschen mit hoher emotionaler Intelligenz, insbesondere mit der Fähigkeit, Emotionen bei sich selbst zu erkennen und zu benennen, sind weniger anfällig für solche Verzerrungen. Sie reagieren nicht impulsiv, sondern reflektiert. Sie trennen Gefühl und Bewertung – ohne sich von Emotionen zu distanzieren.
Emotionale Klarheit ist keine Schwäche. Sie ist mentale Führungsstärke
Transformationale Führung braucht emotionale Kompetenz
Führung ist heute mehr als Zielvorgabe und Kontrolle. Moderne Unternehmen brauchen emotionale Anschlussfähigkeit – also Führung, die Sinn stiftet, Entwicklung ermöglicht und Vertrauen aufbaut. Genau das ist das Ziel transformierender Führung.
Santosh Kumar (2021) fasst in einem Review zusammen, dass emotionale Intelligenz in nahezu allen Dimensionen transformationale Führung unterstützt:
- Empathie ermöglicht individuelle Förderung
- Selbstregulation verhindert destruktive Reaktionen unter Druck
- emotionale Präsenz schafft Orientierung und Stabilität
- authentische Kommunikation stärkt Vertrauen
Die Botschaft: Führung wird wirksam, wenn sie emotional verständlich ist.
Der Klassiker: Golemans fünf Säulen emotional intelligenter Führung
Bereits 1998 formulierte Daniel Goleman in der Harvard Business Review fünf Schlüsselkompetenzen emotional intelligenter Führungskräfte. Sie sind heute aktueller denn je:
- Selbstwahrnehmung: Wer sich selbst kennt, kann sich klar ausdrücken und gezielt handeln.
- Selbstregulation: Wer Gefühle steuern kann, bleibt auch in Krisen besonnen.
- Motivation: Wer aus innerem Antrieb handelt, inspiriert andere.
- Empathie: Wer andere versteht, fördert sie effektiv.
- Soziale Fähigkeiten: Wer Beziehungen gestalten kann, bewegt Teams.
Golemans Analyse internationaler Kompetenzmodelle zeigte: Auf oberster Führungsebene sind 90 % der Leistungsvorteile auf emotionale Intelligenz zurückzuführen – nicht auf Fachkompetenz oder IQ.
Emotionen sind kein Gegenpol zur Leistung – sie sind ihr Treiber
Für Führungskräfte, HR-Verantwortliche und Entscheider*innen in Unternehmen heißt das: Emotionale Intelligenz ist kein „Nice-to-have“ – sondern ein „Must-have“ in dynamischen Zeiten.
Besonders in hybriden und digitalen Arbeitsformen, in kulturell diversen Teams und bei wachsendem Komplexitätsdruck braucht es Führung, die auch das Nicht-Sichtbare erkennt: Stimmungen, Spannungen, stille Signale. Emotionale Intelligenz bietet hier den Schlüssel, um Teams in Balance zu halten, Potenziale zu erkennen und Entscheidungen zu treffen, die sowohl sachlich als auch menschlich tragfähig sind.
Was heißt das konkret für Sie?
- Reflektieren Sie Ihre eigene emotionale Landkarte: Wie erkennen Sie Gefühle bei sich – und wie wirken diese in Ihre Entscheidungen hinein?
- Lernen Sie, Emotionen als Daten zu lesen – nicht als Bedrohung.
- Fördern Sie emotionale Intelligenz in Ihren Teams – durch gezieltes Feedback, Perspektivwechsel, Training und Gesprächskultur.
- Nutzen Sie Modelle wie WIN, um Emotionen systematisch wahrzunehmen, zu interpretieren und bewusst einzusetzen.
Wer emotional führt, wirkt stärker. Wer Gefühle lesen kann, führt weiter.
Quellen:
BOYATZIS, Richard E. Managerial and leadership competencies: A behavioral approach to emotional, social and cognitive intelligence. Vision, 2011, 15. Jg., Nr. 2, S. 91-100.
CÔTÉ, Stéphane, et al. Emotional intelligence and leadership emergence in small groups. The Leadership Quarterly, 2010, 21. Jg., Nr. 3, S. 496-508.
GOLEMAN, Daniel; BOYATZIS, Richard E.; MCKEE, Annie. Primal leadership: Unleashing the power of emotional intelligence. Harvard Business Press, 2013.
GOLEMAN, D.; INTELLIGENCE, Evaluating Emotional; What makes a leader. Harvard Business Review, 1998.
YIP, Jeremy. Understanding the Source of Emotions: Anxiety, Emotion Understanding Ability, and Risk-Taking. 2012. Doktorarbeit.
YIP, Jeremy A.; CÔTÉ, Stéphane. The emotionally intelligent decision maker: Emotion-understanding ability reduces the effect of incidental anxiety on risk taking. Psychological Science, 2013, 24. Jg., Nr. 1, S. 48-55.
YIP, Jeremy A.; SCHWEINSBERG, Martin. Infuriating impasses: Angry expressions increase exiting behavior in negotiations. Social Psychological and Personality Science, 2017, 8. Jg., Nr. 6, S. 706-714.
Zhang, H.-H., Wang, H., 2012. A Meta-Analysis of the Relationship Between Individual Emotional Intelligence and Workplace Performance. Acta Psychologica Sinica 43, 188–202. https://doi.org/10.3724/SP.J.1041.2011.00188

