Klinik mit allen Kulturen

Diversitätsstrategie Klinik mit allen Kulturen: warum klappt’s?

2017 konzipierte iKult gemeinsam mit der Deutschen Familienstiftung und dem Klinikum Fulda das Projekt „Klinik mit allen Kulturen“ zur interkulturellen Öffnung des Klinikums , dessen Strategien sich im Klinikum inzwischen etabliert haben. Was waren die Faktoren fürs Gelingen?

Wer nicht lesen möchte, kann den Film schauen auf YouTube schauen.

Wesentliche Ausschnitte finden sich auch an entsprechenden Stellen im folgenden Text.

Ausgangssituation

Das Klinikum Fulda ist ein modernes und leistungsstarkes Krankenhaus der Maximalversorgung. Es bietet an seinen 25 Kliniken und Instituten ein qualitativ hochwertiges medizinisches Leistungsangebot für rund 100.000 Patientinnen und Patienten im Jahr, sowie professionelle Pflege durch mehr als 2.700 Mitarbeitende.

Herausforderungen kulturelle Vielfalt

Schon seit langem, aber ganz besonders durch die verstärkte Zuwanderung in die Region in 2016 mussten sich Pflegekräfte dann mehr und mehr mit ungewohnten kulturell bedingten Verhaltensweisen ihrer Patientinnen und Patienten, häufig aber auch von deren Angehörigen auseinandersetzen.

Gleichzeitig war das Klinikpersonal zu Beginn unseres Projekts in 2016 nicht ausreichend vorbereitet auf kulturelle Vielfalt. Es fehlte z. B. an relevanten Informationen über kulturelle Besonderheiten und Gemeinsamkeiten, sodass Irritationen an der Tagesordnung waren. Diese sorgten häufig für Unsicherheiten und führten nicht selten zu Konflikten.

Kosten und Verzögerungen

Die zunehmend kostenaufwendigen Verzögerungen und Ausfälle im Pflegealltag schlugen zu Buche. Dem Krankenhaus entstand dadurch –konservativ gerechnet- allein in der Frauenklinik ein zusätzlicher unproduktiver Zeitaufwand von mindestens 180 Stunden/Monat.

Aufgabenstellung und Herausforderungen

Zum Zeitpunkt, als wir Anfang 2017 das Projekt „Klinik offen für alle Kulturen“ begannen zu konzipieren, stellte man sich am Klinikum daher folgende Fragen:

Wie stärken wir exemplarisch das Personal der Frauen- und der Kinderklinik, um gut mit den ungewohnten Verhaltensweisen ihrer zunehmend multikulturellen Patienten und Patientinnen und deren Angehörigen umzugehen, und wie transferieren wir die Methoden an die anderen Kliniken des Hauses?

Wie stärken wir Neuzugewanderte und ihre Familien, um gut mit den Gegebenheiten der Frauenklinik und der Kinderklinik klarzukommen?

Wie können wir die neue Herangehensweise an interkulturelle Fragen so kommunizieren, dass das Klinikum sowohl für Personal aus dem internationalen Bereich als auch für zugewanderte Patienten und Patientinnen interessanter wird?? (Stichwort: Wettbewerbsvorteil)

Die Teams werden mehr und mehr divers; neue Mitarbeitende aus dem Ausland wurden angeworben und mussten in bestehende Teams integriert werden. Wie stellen wir das Funktionieren der interkulturellen Teams langfristig sicher?

Welche Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur der Klinik sind nötig, um diesen Anforderungen gerecht zu werden?

Leidensdruck am Klinikum: Herausforderungen und Probleme zu Beginn

Anfang 2017 wussten wir, dass an der Frauenklinik des Klinikums über 200 Patientinnen behandelt wurden, die kein deutsch sprachen. Auch wussten wir, dass von den Gebärenden rund ein Viertel kein deutsch sprach.

Aus der Erfahrung von Prof. Spätling, ehemaliger Direktor der Frauenklinik am Klinikum Fulda entnahmen wir, dass den Neuzugewanderten oft nicht klar ist, was sie von einem Krankenhaus erwarten können und was nicht, oder welche Regeln auf den Stationen gelten. Nicht selten hielten sich Angehörige lange, z.T. über Nacht in den Aufenthaltsbereichen auf, was Familien aus der Region nicht selten störte, besonders im Essbereich. Oder es wurde erwartet, dass Klinikpersonal Ämtergänge übernimmt.

Zudem ist die Mitarbeiterschaft des Klinikums zunehmend international geprägt. Die daraus entstehenden Hemmnisse verzögern im Klinikalltag Arbeitsabläufe, belasten die Zusammenarbeit und erschweren das Halten bestehender Qualitätsstandards. Ziel eines Modellproiektes musste es daher sein, das Klinikum so weiter zu entwickeln, dass sich die bestehenden Spannungsfelder auflösten. 

Die Deutsche Familienstiftung: Ideengeberin, Initiatorin, Vorreiterin….

Einer der wesentlichen Faktoren, weshalb das Projekt „Klinik offen für alle Kulturen“ in einem Unternehmen, das in erster Linie wirtschaftlich handeln muss, erfolgreich und nachhaltig umgesetzt werden konnte, ist die Deutsche Familienstiftung, die bereits in den Jahren von 2013- 2016 ihre eigenen diversitätsorientierten Organisationsstrategien implementierte. Prof. Dr. Ludwig Spätling, Gründer der Deutschen Familienstiftung und seine Tochter Julia Spätling haben wesentlich zum Gelingen des Projekts beigetragen:

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Prof. Dr. Ludwig Spätling, Gründer der Deutschen Familienstiftung

Mit den Erfahrungen aus dem eigenen Projekt und dem versierten Blick auf die Situation im Klinikum war beiden angesichts der „Flüchtlingswelle“ nach Ausbruch des Krieges in Syrien klar, dass das Klinikum nun allerspätestens eine Strategie zum besseren Umgang mit Patient*innen aus anderen Kulturen brauchte. Nachdem wir schon das Stiftungsprojekt „Familie mit allen“ gemeinsam durchgeführt hatten, entwarfen wir nun ein Konzept für die Frauenklinik, das im Klinikum rasch Anklang fand und vom Hessischen Ministerium für Soziales und Integration kofinanziert werden konnte.

Im Sommer 2017 stellten wir bei einer Kickoff- Veranstaltung im Klinikum unsere gemeinsamen Pläne für die nächsten drei Jahre vor.

Wesentliche Aspekte einer Diversitätsstrategie, auch an einem Großklinikum

Um es vorweg zu nehmen für die, die nicht gern lesen, sondern lieber ein Video darüber schauen: Input durch die Projektkoordinatorin Martina Möller:

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Projektkoordinatorin Martina Möller

Bestandsanalyse sorgt für erste Ansätze

Die meisten Mitarbeitenden erlebten herausfordernde Situationen, zumeist aufgrund von Sprachbarrieren, vermutlich kulturell bedingten Verhaltensweisen und unterschiedlichen Erwartungen an das, was Krankenhauspersonal leistet und was nicht.

Nahezu alle befragten Mitarbeitenden erlebten zudem negative Auswirkungen auf die Qualität ihrer Arbeit und somit auch auf die Qualität der medizinischen Leistungen.

Auch die multikulturelle Zusammensetzung der Ärzteschaft und der Teams wurde als anstrengend, herausfordernd, aber auch als bereichernd erlebt.

Man wünschte sich vor allem eine bessere Kommunikation: sei es durch Dolmetscher, durch Übersetzungsmittel, durch mehr Wissen…

Geschätzte Mehrkosten fürs Klinikum daraus: mindestens 180 Stunden pro Monat, konservativ gerechnet.

Hier ein interessantes Statement von Pflegedirektor Ronald Poljak über Wirtschaftlichkeit, den Zeitfaktor, sowie den Faktor Fachkräftemangel:

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Pflegedirektor Ronald Poljak

Vorgehensweise und Ergebnisse

Im Weiteren richteten wir eine interdisziplinäre Steuerungsgruppe aus verschiedenen Fachbereichen des Klinikums ein. Sie beleuchtete die Thematik aus den jeweiligen Perspektiven und diskutierte mögliche Lösungen und Modifikationen.

Eine interkulturelle Fachkraft bzw. Anlaufstelle wurde etabliert und bis zum Ende des Projekts durch neun Interkulturelle Beauftragte an neun Kliniken verstärkt.

Für die interkulturelle Kommunikation wurden vorhandene Beschilderungen optimiert (z. B. durch Piktogramme ersetzt).

3-tägige interkulturelle Trainings vermittelten Kenntnisse, die die tägliche Arbeit erleichtern sollen.

Was sagen Mitarbeiter*innen über die Seminare und die Ergebnisse insgesamt?   

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Mitarbeiter*innen über die Seminare

Schon in den ersten Monaten des Projekts stellte sich heraus, dass es wichtig ist, nicht nur mit der Frauenklinik, sondern auch mit der Kinder- und Jugendklinik zu arbeiten. Alle Maßnahmen wurden daher dahingehend ausgeweitet.

Wie denkt Prof. Dr. Reinald Repp, Direktor Kinder und Jugendklinik, darüber?

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Prof. Dr. Reinald Repp, Direktor Kinder und Jugendklinik

Austausch mit externen Akteur*innen

Durch mehrmaligen Austausch mit externen Akteur*innen, wie den regionalen Moschee- und Kirchengemeinden wurden die internen Verfahrensanleitungen im Fall von versterbenden Patient*innen erweitert und für den Umgang mit jüdischen und muslimischen Todesfällen optimiert.

Prof. Dr. Gabriele Köhler, Direktorin Institut für Pathologie am Klinikum Fulda, sagt dazu:

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Prof. Dr. Gabriele Köhler, Direktorin Institut für Pathologie am Klinikum Fulda

Und heute?

Julia Spätling findet sich inzwischen in einer Doppelrolle. Als Interkulturelle Beauftragte ist sie im Klinikum fest verankert. Sie kooperiert mit der Personalabteilung, die sich das Thema auf die Fahnen geschrieben hat. Noch immer besteht ein Netzwerk aus internen Beauftragten in verschiedenen Kliniken, die sich stetig weiterbilden und das Thema lebendig und aktuell halten.

Ihre andere Rolle liegt weiterhin in der Geschäftsführung der Deutschen Familienstiftung. Zu „Klinik mit allen Kulturen“ sagt sie heute

Privatdozent Dr. Thomas Menzel, Sprecher des Vorstands des Klinikums, hat vom ersten Tag an das Projekt unterstützt. Was sagt er am Ende der Projektlaufzeit dazu?

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Privatdozent Dr. Thomas Menzel, Sprecher des Vorstands des Klinikums

iKult berät Projektträger und Klinikum bei der Umsetzung und Abwicklung des Projektes sowie bei der Übertragbarkeit auf andere Regionen und Kliniken.

Download der Projektpräsentation von Klinik für alle Kulturen.

Über

Martina Möller

Martina Möller ist Betriebswirtin, Heilpraktikerin für Psychotherapie mit Schwerpunkt auf transkulturellem Coaching (deutsch, englisch, türkisch) und systemische Therapeutin.

Martina Möller iKult